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Die Stresskette beim Pferd - ein Teufelskreis?

Stress an sich ist zunächst einmal eine körperliche und geistige Reaktion auf einen Reiz. Dieser kann sowohl positiv als auch negativ sein. Insbesondere anhaltender, negativer Stress wirkt sich jedoch schwerwiegend auf unsere Pferde aus und kann viele Gesichter haben. Was Stress im Pferd anrichten kann und wie du Stressanzeichen bei deinem Pferd erkennen - und vermeiden - kannst, habe ich dir heute zusammengefasst:


Vielleicht kennst du es von dir selbst: Du hast einen wichtigen Termin fast verschlafen und nur noch wenig Zeit um rechtzeitig zu erscheinen. Dein Puls schnellt hoch, der Stresspegel steigt, du hetzt los und siehe da: du schaffst es zwar, dein Körper ist danach aber erstmal völlig KO.


Ähnlich geht es auch unserem Pferd: Akuter Stress steigert kurzfritig die Leistungsfähigkeit. Dies passiert, in dem der Körper in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wird. Er ist quasi im "Fluchtmodus". Hierfür sorgen eine ganze Reihe an Hormonen, insbesondere Adrenalin, Noadrenalin und Cortisol, die zum Beispiel für die Erhöhung von Blutdruck und Herzschlag, Energiebereitstellung und Anpassung der Atemfrequenz sorgen. Auch die Muskulatur wird besser durchblutet, um den Körper auf die Flucht vorzubereiten.


Gleichzeitig werden jedoch auch andere Systeme heruntergefahren. Dies betrifft zum einen Immunsystem und Verdauung, aber auch die Hirnleistung. Eben alles, was zur Flucht nicht zwingend benötigt wird. Das Pferd ist, solange es sich in erhöhter Alarmbereitschaft befindet, nicht mehr in der Lage sich zu konzentrieren oder gar neue Dinge zu lernen.


Dies alles sind wichtige Punkte, die wir im Hinterkopf behalten sollten, wenn es darum geht wie und wann wir Stress bei unseren Pferden zulassen. Im Rahmen des Trainings kann es an der ein oder anderen Stelle natürlich hilfreich sein, eine erhöhte Sympathikusaktivität und damit verbunden ein kurzfristiges "Wachmachen" des Pferdes zu forcieren, jedoch ist es immens wichtig für die Gesundheit des gesamten Organismus, sich anschließend auch wieder zu regenerieren und dazu den Körper zu entspannen.


Geschieht dies nicht - und das kann viele Ursachen haben, welche erfährst du später - aktiviert der Pferdekörper dauerhaft den Alarmzustand, was körperliche und geistige Folgen mit sich bringt.


Die Stresskette beim Pferd


  • Die Muskelspannung bleibt dauerhaft erhöht, was die Entstehung von Verspannungen, Kompensationshaltungen und Fehlstellungen begünstigt:

    • Die dauerhafte Anspannung der dorsalen Kette - also der Streckerkette der Oberlinie - welche vom Hinterkopf über die gesamte Oberlinie bis hinunter zum Huf reicht, sorgt für ein "Durchdrücken" der Wirbelsäule. Auf Dauer kommt es zu Muskelschwund im Bereich der Sattellage, Rückenschmerzen bis hin zu Rittigkeitsproblemen und Entstehung von Kissing Spines.

    • Die Pferde wirken insgesamt steif sowie der Bewegungsablauf ruckartig. Es können Taktunreinheiten bis hin zu unregelmäßigen Lahmheiten und "Kurztreten" entstehen.

    • Die Pferde beginnen, Schonhaltungen wie zum Beispiel eine Rückständigkeit der Vorhand einzunehmen, was wiederum mit Fehlbelastungen des gesamten Körpers verbunden ist.

    • Der Körper verliert insgesamt an Elastizität und ist somit anfälliger für Sehnen- und Bänderschäden, Muskelfaserrisse und Co.

    • Auch multifaktorielle Probleme wie beispielsweise eine Trageerschöpfung bedeuten immer auch Stress für das betroffene Pferd.

  • Stress ist immer auch ein Auslöser für Magenprobleme, schränkt die Tätigkeit des Magen-Darm-Trakts insgesamt ein und kann somit Auslöser für Koliken und Verdauungsprobleme wie Kotwasser oder Durchfall sein.

  • Durch die Ausschüttung von Stresshormonen wird das Immunsystem heruntergefahren, was wiederum das Risiko für den Ausbruch von Infektionskrankheiten, aber zum Beispiel auch das Auftreten von Allergien erhöht.

  • Da das Blut vermehrt in die Muskeln gepumpt wird, um jederzeit eine Flucht sicherzustellen, werden andere Bereiche, wie zum Beispiel die Haut, weniger gut durchblutet. Dies kann sich in Form von Wundheilungsstörungen, Juckreiz und Hauterkrankungen äußern.

  • Pferde in Fluchtbereitschaft ruhen nicht oder nur unzureichend. Sie legen sich seltener bis gar nicht mehr ab und entwickeln sogar sogenannte Pseudo-Narkolepsien, bei denen sie aufgrund der unzureichenden Erholung zusammenbrechen.

  • Zu guter letzt zeigen chronisch gestresste Pferde durch die einerseits erhöhte Muskelspannung sowie andererseit erhöhte Atemfrequenz ein Risiko für die Entwicklung von Atemwegsproblemen. Das Zwerchfell und die Atemmuskulatur sind verspannt und sorgen dafür, dass das Pferd nicht mehr richtig durchschnaufen kann. Nicht wenige Pferde werden zwar aufgrund chronischer Atemwegsprobleme behandelt, können sich jedoch nicht ausreichend regenerieren, da die Ursache gar nicht in den Atemwegen selbst, sondern im dauerhaften Stresspegel zu suchen ist.

  • Neben den oben aufgeführten, körperlichen Problemen zeigen sich die Pferde oftmals auch im Verhalten verändert:

    • Die ersten psychischen Folgen beginnen bei Konzentrationsschwierigkeiten, dem Gefühl im Training nicht mehr voran zu kommen. (Merke: Ein Pferd unter Stress kann nichts lernen) bis hin zu unkontrolliertem Verhalten wie Durchgehen und Co.

    • Weitere Auffälligkeiten können die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten wie Koppen oder Weben, im Kreis laufen aber auch gesteigerte Aggressivität oder auch Heißhunger bzw. regelrechte Fress-Sucht sein.

    • Manche Pferde werden mit gesteigertem Stresspegel auch eher introvertiert, wirken teilnahmslos und dauerhaft müde. Dies sind oftmals sehr sensible Pferde, die mit der Zeit anfangen immer mehr abzustumpfen und sich in sich zurückzuziehen.




Natürlich zeigt nicht jedes Pferd die gesamte Liste an Auffälligkeiten. Wenn du aber mehrere der aufgeführten Beispiele bei deinem Pferd erkennst, solltest du definitiv auf "Stresssuche" gehen.


Im Gesamten betrachtet ist ein dauerhaft angeschalteter Fluchtmodus also nichts, das wir tolerieren oder gar provozieren sollten. Das Gemeine an der Geschichte: Es muss nicht immer DER eine, große Auslöser sein. Oftmals summiert sich Stress aus vielen kleinen Teilbereichen solange, bis er das sogenannte Stresstoleranzniveau überschreitet - also die Grenze, aber der die oben aufgeführten körperlichen Folgeerscheinungen ausgelöst werden.


Ursachenforschung


Anhaltender Stress wird sich immer in psychischen und physischen Auffälligkeiten bemerkbar machen. Umso wichtiger also, sich im Umfeld auf Ursachensuche zu begeben sobald du die ersten Alarmzeichen bei deinem Pferd feststellen kannst. Wie fast immer müssen wir hierzu tatsächlich das gesamte Management unter die Lupe nehmen. Zur Vereinfachung nutze ich hierzu gerne die vier "Kategorien" Haltung, Training, Fütterung und (Gesundheits-)management.


  • Haltung

    • Gruppengröße und -zusammensetzung (Ein Rentner unter lauter Jungpferden ist beispielsweise evtl völlig überfordert und kommt nicht zur Ruhe. Auch zu große oder gemischte Gruppen können ein Problem sein, insbesondere dann wenn das Pferd in einer kleinen Gruppe oder gar gar nicht in der Herde aufgewachsen ist)

    • Freie Bewegung (Pferde müssen sich bewegen - und zwar mehrere Stunden täglich, auf Flächen wo sie alle drei Gangarten frei ausleben können. Bewegungseinschränkung bedeutet - neben anderen körperlichen Schäden - auch immer Stress)

    • Ruhemöglichkeiten (genauso wichtig wie ausreichend Bewegung sind jedoch auch Ruheplätze. Bodenbeschaffenheit und Lage der Ruhezone spielen eine wichtige Rolle. Pferde die sich selten oder nie ablegen werden zwangsläufig krank)


  • Training

    • Trainingsgestaltung (Ist das Training an den aktuellen Trainingszustand angepasst? Ggf. hilft ein Fitnesscheck mit Pulsgurt, um herauszufinden ob dein Pferd im Training wirklich ausreichend gefordert wird, ohne dabei überfordert zu sein.)

    • Regeneration (Nach jedem überschwelligen Trainingsreiz muss immer auch eine Phase der Regeneration folgen. Dies fördert nicht nur den Muskelaufbau - denn Muskeln wachsen nicht während der Belastung sondern danach -, sondern stellt auch sicher, dass der Organsmus insgesamt Zeit hat, um sich zu erholen)

    • Trainingsmethoden (Schreiende Reitlehrer (Es gibt eine Untersuchung, die belegen konnte, dass Tonlage und -lautstärke des Trainers einen enormen Einfluss auf den Stresspegel des Pferdes während des Trainings hatten), unpassende Übungsabfolgen oder auch ein unter Strom stehender Reiter können dafür sorgen, dass das Pferd eine zu hohe Sympathikus-Aktivität entwickelt und somit weder in der Lage ist zu lernen, noch sich reell losgelassen zu bewegen)

    • Umgebungsfaktoren (Die parallel laufende Springstunde, während man dem Jungpferd zum ersten Mal die Bahn zeigt, die Baustelle direkt neben der Reithalle oder auch der Sturm mit Platzregen: alles insgesamt keine sehr entspannte Arbeitsatmosphäre. Je nach Stresspegel deines Pferdes - und dir selbst - kann es in solchen Fällen sinnvoll sein entweder die Ansprüche der Einheit herunterzuschrauben - im Falle des Jungpferds es zum Beispiel einfach nur ein bisschen herumzuführen anstatt alle GGA abzufragen - oder sie einfach auf einen späteren, ruhigeren Zeitpunkt zu verlegen.)

    • Equipment (Es sollte inzwischen eigentlich selbstverständlich sein, trotzdem möchte ich der Vollständigkeit halber nochmal darauf hinweisen, dass unpassende Sättel, Gebisse oder auch falsch verschnallte Zäume und Hilfszügel ein enormes Schmerz- und damit auch Stresspotential besitzen)


      Wer an dieser Stelle übrigens Lust hat, sich mehr mit Trainingsplanung zu beschäftigen, dem kann ich den Onlinekurs "Trainingsplanung und Exterieur" von OsteoDressage wärmstens ans Herz legen.

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  • Fütterung

    • Raufuttermanagement (Die Basis des Pferde-Speiseplans bildet das Raufutter. Ausreichend Heu, ggf. gemischt mit Futterstroh und Knabberholz sorgen dafür, dass dein Pferd zum einen satt wird, zum anderen aber auch wertvollen Speichel produziert, der wiederum wichtig für die Magengesundheit deines Pferdes ist. Ausreichend Raufutter sorgt so also auch als Prophylaxe für die Entstehung von Magenproblemen)

    • Fressplätze (Insbesondere in Gruppenhaltung kommt es immer mal wieder vor, dass einzelne Pferde nicht ausreichend an die Raufe kommen. Mit der Faustregel "Immer mehr Fressplätze als Pferde" sowie natürlich auch ausreichend Futtermenge für alle Pferde kann das vermieden werden.)

    • Slowfeeder (Slowfeeder können - sinnvoll eingesetzt - problemlos in die Fütterung integriert werden. Wichtig ist es jedoch, Maschenweite und Material so einzusetzen, dass beim Fressen kein Stress entsteht. Steht ein Pferd vor einem Netz mit zu kleinen Maschen und versucht stundenlang einen Halm herauszuziehen, oder schneidet sich die Nase an scharfkantigen Materialien - zB von Heukisten mit Lochblechen - auf, hat dies jedoch nichts mehr mit sinnvoller Fütterung zu tun.)

    • Kraftfutter und Zusätze (Zu viel oder zu wenig Kraftfutter kann ein Stressfaktor sein. Wird dem Pferd zB zu viel Energie zugeführt, ohne dass es diese auch abbauen kann, führt dies schnell zu Übersprungshandlungen und Stress)


      In Bezug auf Fütterung sei nochmals gesagt, dass auch alle Arten von fütterungsbedingten Erkrankungen - sei es Adipositas, EMS, Rehe, Magen- und Darmerkrankungen aber auch Untergewicht - immer auch zwangsläufig mit Stress verbunden sind. Hier ist die Behandlung der Grunderkrankung der einzig richtige Weg, um aus der Spirale herauszukommen.


  • (Gesundheits-)management

    • Regelmäßige Check-Ups des Equipments, der Zähne sowie Besuch von Physio, Chiro und Ostheo sind aktive Stress-Prophylaxe.


Stressoren sind per se natürlich sehr individuell - was das eine Pferd bereits in Stress versetzt, kann für das andere völlig okay sein. Ich empfehler daher, wirklich jedem Pferdehalter sich einmal mit Gestik und Mimik auseinanderzusetzen sowie ihr Pferd auch mal ganz ungezwungen im normalen Umfeld über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Was ist das "Normalverhalten"? Wie reagiert mein Pferd auf bestimmte Reize (auch im Vergleich zu den anderen Pferden im Stall / der Gruppe)? Wie oft setzt es Urin oder Kot ab? Geht es regelmäßig trinken? Kann es fressen wenn es das möchte, oder wird es immer wieder von der Raufe vertrieben? Wirkt es insgesamt interessiert an seiner Umwelt oder ist ihm "alles egal"? Hierbei kannst du dir die oben aufgeführten Punkte zu Hilfe nehmen.

Den Teufelskreis durchbrechen

Vielleicht hast du nun einige Anzeichen bei deinem Pferd entdeckt. Hast vielleicht auch schon die ein oder andere Idee, woran es liegen könnte, bist dir aber noch unsicher wie du nun in die Umsetzung und damit den ersten Schritt in Richtung Verbesserung des Wohlbefindens deines Pferdes kommen sollst? Oder bist dir noch völlig unsicher, ob körperliche Probleme die Ursache darstellen oder die Fütterung vielleicht Auslöser sein könnte?

Ich stehe dir sehr gerne nicht nur als Futterberaterin und Trainerin, sondern auch als unabhängiger, außenstehender und vor allem unvoreingenommener Beobachter gerne helfend zur Seite.

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