top of page

Warum wir uns mehr mit Gestik, Mimik und Körpersprache beschäftigen sollten

Immer wieder bekomme ich von Neukunden erzählt, dass das Pferd schon immer "nicht so gern geputzt werden möchte". Dass der Rechtsgalopp trotz mehrmonatigem Training eben einfach nicht geht. Gefolgt vom "triebigen" Pony, das trotz Training immer fauler wird oder der "bockigen" Stute, die jedes Angaloppieren mit einem Tritt gegen das Reiterbein kommentiert.


In vielen Fällen kennen die Besitzer das gar nicht anders. Das Pferd "ist eben so". Viele Veränderungen beginnen auch ganz schleichend: Angefangen von der Berührungsempfindlichkeit beim Putzen über Giften beim Satteln bis hin zum Durchgehen ohne Grund.


Dabei bin ich mir sicher: All diese Pferde haben schon lange vorher angefangen, sich bemerkbar zu machen - nur werden subtile Anzeichen oftmals übersehen. Und das soll im ersten Schritt gar kein Vorwurf sein. Ich kann nur das sehen, was ich gelernt habe zu sehen. Für den Laien sieht ein Pferdegesicht immer "süß" oder "nett" aus. Nur der Mimik-Profi erkennt vielleicht schon die gekräuselten Nüstern oder das fehlende Ohrenspiel.


Dabei geben uns Gestik und Mimik unseres Pferdes so viele wichtige Informationen über das aktuelle Wohlbefinden. Das optische Ausdrucksverhalten kann für uns somit ein wichtiger Indikatior sein, um Unwohlsein wie Schmerz oder Stress, zu identifizieren. Da Pferde uns leider oft nicht sagen können, was los ist, liegt es in der Verantwortung von uns Pferdebesitzern, mit der Zeit immer feinere Antennen zu entwickeln und Veränderungen wahr- und vor allem auch ernst zu nehmen.


Das fällt dir noch schwer? Kein Problem:

Zur Beurteilung von Gestik und Mimik im Zusammenhang mit Schmerzanzeichen gibt es einige, hilfreiche Methoden, die man nutzen kann und die es uns erleichtern, Bauchgefühl von wissenschaftlich basierten schmerzassoziierten Verhaltensweisen zu unterscheiden. Zwei davon möchte ich euch kurz näher vorstellen, denn sie sind zum einen für jeden erlernbar und zum anderen auch in der Praxis sehr gut umsetzbar:


Horse Grimace Scale (HGS)


Der HGS versucht, eine objektive Skalierung anhand der Gesichtsmimik des Pferdes zu schaffen. Mithilfe von sechs Gesichtspartien kannst du Schmerzanzeichen im Gesicht des Pferdes erkennen und bewerten:


  1. Muskelpartie über den Augen

    Ist Anspannung erkennbar? Wirkt die Höhle über den Augen tiefer? Entstehen Sorgenfalten? Wie wirken die Augen? Glasig und leer oder wach? Sucht das Pferd Blickkontakt?


  2. Lidschluss Schließt das Pferd die Augen dauerhaft teilweise oder gar vollkommen? (Ein normales Pferd blinzelt alle 2-5 Sekunden und öffnet die Augen dazwischen vollständig )


  3. Maulpartie Wirkt die Maulpartie angespannt? Entsteht eine kantige, markante Kinnbildung?


  4. Kaumuskulatur Tritt die Kaumuskulatur deutlich hervor?


  5. Nüstern Wirken die Nüstern gekräuselt, schlitzförmig oder dauerhaft gebläht, sodass die Schleimhaut sichtbar wird? Ist der Nüsternrand fest und deutlich abgegrenzt?


  6. Ohrenspiel Trägt das Pferd die Ohren steif, ggf. mit seitlich oder nach hinten-unten geneigten Ohrmuscheln? Fehlt das Ohrenspiel? (Normale Pferde zeigen ca. alle 5 Sekunden eine Veränderung der Ohrenposition)

Jede der oben genannten Kategorien kann mit Punkten von 0-2 bewertet werden:


  • 0 = keine Auffälligkeit

  • 1 = moderate Auffälligkeit

  • 2 = deutliche Auffälligkeit



Entspanntes Gesicht ohne Auffälligkeiten

Sei jedoch bitte immer vorsichtig mit Momentaufnahmen. Es macht Sinn, das betroffene Pferd über einen Zeitraum von mindestens 10 Minuten zu beobachten, und die Beobachtungen zu dokumentieren bevor du die finale Bewertung vornimmst.


Wer sich unsicher ist, kann im Übrigen auch die App "Horse Grimace Scale" für Android ausprobieren. Ich persönlich finde jedoch, dass die oben genannten Anzeichen mit ein bisschen Übung schnell und relativ sicher zu erkennen sind.



Schmerz-Ethogramm


Eine etwas umfassendere Einschätzung bietet das "Schmerz-Ethogramm des gerittenen Pferdes" nach Sue Dyson. Hier haben britische Tiermediziner um Dr. Dyson eine Liste von Verhaltensweisen zusammengestellt, die, wenn sie gehäuft und in Kombination auftreten, auf Schmerzzustände im Bewegungsapparat des Pferdes hinweisen.


Es gilt jedoch nur für gerittene Pferde und kann daher nicht ohne Weiteres auf das geführte oder gar auf der Koppel stehende Pferd angewandt werden (gleichwohl einige Anzeichen für mich trotzdem schon ein Grund wären, das Pferd zumindest einmal genauer anzuschauen).


Dysons Untersuchungen haben gezeigt, dass die im Ethogramm genannten Verhaltensweisen bei Pferden mit Lahmheit und/oder Schmerzen zehnmal häufiger auftreten, als bei anderen. Zeigt ein Pferd innerhalb von 10 Minuten mehr als 8 der unten aufgeführten Anzeichen, so ist davon auszugehen, dass ein Schmerz vorliegt.


Alle Punkte im Detail findest du im erst kürzlich erschienenen Dokumentarfilm "24 Behaviors of the Ridden Horse in Pain: Shifting the paradigm of how we see lameness“ erklärt, welchen du hier kostenfrei anschauen kannst.


Mein Pferd zeigt Schmerzen - was nun?


Du hast Anzeichen von Schmerz bei deinem Pferd erkannt? Das ist gut - denn nun kannst du handeln. Notiere dir, in welchen konkreten Situationen die Schmerzanzeichen sichtbar werden. Kannst du abhängig von der gerittenen Lektion, der Trainingsdauer, Gangart oder auch dem genutzten Equipment oder dem Reiter unterschiedliche Reaktionen beobachten?


Bei Pferden, die dauerhaft schmerzhaft sind, ist der Weg über den Tierarzt unumgänglich.


Tritt der Schmerz nur in ganz bestimmten Situationen (zum Beispiel beim Satteln, Aufsteigen, nur im Linksgalopp...) auf, kann vorerst auch dein Sattler oder Therapeut dein erster Ansprechpartner sein. Jedoch solltest du auch hier tierärztlichen Rat hinzuziehen, wenn sich das Verhalten nach der Anpassung des Equipments bzw. der Behandlung nicht zeitnah bessert oder zwischenzeitlich sogar verschlimmert.


Ein paar Worte zu "sturen" Pferden


Sätze wie "Der hat nur keine Lust", "Du musst dich halt mal durchsetzen" oder "Die ist immer so zickig - ist halt ne Stute" hallen immer wieder durch Stallgassen und Reithallen. Dabei ist es mir nochmal ganz ganz wichtig zu betonen:


Arbeitet ein Pferd nicht mit, gibt es nur zwei mögliche Ursachen:

Unverständnis oder Unvermögen.


Durch den Einsatz von härteren Hilfen oder dem Einsatz von "Hilfsmitteln" wie noch mehr Gerte, Sporen, Hilfszügeln und Co. lässt sich das Problem zwar oftmals kurzfristig kaschieren - auf lange Sicht gesehen werden solche Pferde aber nie wirklich gut, sondern entwickeln immer gesundheitliche Probleme - sei es der Sehnenschaden, das Magengeschwür oder die Entwicklung zum unreitbaren Problempferd.


Bitte nimm Pferdeverhalten nie persönlich! Rein kognitiv ist ein Pferd gar nicht in der Lage, sich absichtlich dumm zu stellen oder Gedankengeänge wie "heute teste ich mal, wie die Mutti sich durchsetzen kann" überhaupt auszuführen. Ein gesundes Pferd will gefallen, will sich bewegen und Stress vermeiden.


Zeigt dein Pferd das nicht, so geh auf Ursachenforschung. Hierbei helfen dir die zwei wichtigen Leitfragen jedes Pferdetraining:

  • Habe ich die Aufgabe wirklich so gestellt, dass mein Pferd sie lösen kann?

  • Ist mein Pferd körperlich in der Lage, die Aufgabe zu lösen?


Du bist dir unsicher, ob dein Pferd Schmerzverhalten zeigt oder nicht? Ob bestimmte Verhaltensweisen normal sind oder bereits als auffällig gelten? Ich stehe dir gerne in Form von Gang- und Exterieuranalyse, Trainingsplangestaltung und natürlich Hilfe bei der praktischen Umsetzung in Form von Unterricht oder Beritt zur Seite!




Quellen:

  • Development of the Horse Grimace Scale (HGS) as a Pain Assessment Tool in Horses Undergoing Routine Castration, Download-Link

  • Das Schmerz-Ethogramm des gerittenen Pferdes, Hands on - Manuelle und Physikalische Therapien in der Tiermedizin 2021; 3(01): 7-18

4 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Комментарии


bottom of page